CN Essverhalten, Depression, Dissoziation, Apathie
Ich habe – wie wahrscheinlich alle – mehrere Teilpersönlichkeiten oder Aspekte in mir, die mehr oder weniger ausgeprägt sind. Ich habe eine erwachsene Persönlichkeit, eine Schlampe, die Domse, eine „Kleine“ (die eigentlich ein Middle ist), meine Sub, den Kritiker und dann eben auch einen Beschützer.
An und für sich ist das eine gute Sache, aber dieser Beschützer übertreibt es regelmäßig. Früher habe ich dissoziiert, d. h. Situationen mehr oder weniger verlassen. Teilweise war ich völlig apathisch, konnte nicht sprechen, mich nicht bewegen, habe andere Stimmen nur sehr leise und gedämpft gehört. Das kam schon länger nicht mehr vor, aber der Beschützer ist nach wie vor da.
Seine Aufgabe ist, mich vor schlechten Gefühlen zu schützen. Das macht er aber so gründlich, dass ich nichts mehr spüre. Keine Lust, weder sexuell noch auf andere Aktivitäten. Keinen wirklichen Hunger, aber auch kein Sättigungsgefühl – also esse ich zu viel und zu ungesund. Keinen Antrieb, mich mit etwas zu beschäftigen, eine allgemeine Müdigkeit und Unlust. Mich apathisch zu verkriechen ist an den Tagen die beste Option für mich.
Wenn ich etwas tue, spüre ich mich selber nicht mehr, d. h. ich mache zu viel ohne Pausen, bin abends völlig gerädert und starre dann staunend auf meine Schrittzahl. Meinen Körper spüre ich ebenfalls selten, ich rieche mich selber entweder zu stark (und empfinde das dann als unangenehm) oder gar nicht (und frage mich dann, wann ich das letzte Mal geduscht habe). Meine Körperempfindung schwankt zwischen „viel zu fett“ (ich möchte unbedingt abnehmen) zu „ach, alles egal“.
Mir ist es lange nicht bewusst gewesen, wie stark dieser Beschützer ist, wie sehr er mich beeinflusst und lenkt. Lange Zeit dachte ich, dass ich gerade keine sexuelle Lust empfinde, dass ich in den Wechseljahren bin, Depressionen habe, Medikamente nehme. Vor ein paar Tagen fiel es mir auf einmal selber ganz extrem auf: Dieses wegschieben, wegdrücken, gar nichts mehr empfinden… das war doch der Beschützer? Ja, das ist er. Er sitzt quasi auf meinen Gefühlen und hat es sich dort sehr bequem gemacht. So weit – so schlecht. Aber was nun?
Na, das „Übliche“: Kämpfen. Ich mag den Beschützer durchaus, er macht gute und wichtige und essentielle Dinge. Und manchmal empfinde ich die Welt als zu laut, zu schnell, zu viel und muss meine Gefühle deckeln, damit ich leben kann, funktionieren kann (im positiven Sinne). Ich habe es in so vielen anderen Bereichen geschafft: Ich habe meine Antidepressive reduziert, ich kümmere mich deutlich mehr um mich selber mit Ernährung und Bewegung, ich kann durch meine Smartwatch sehen, ob ich mich viel oder wenig bewegt habe, ich lese wieder mehr und sehe weniger fern, ich spiele wieder Musik und singe, ich plane mehr und hadere weniger, ich freue mich auf so viele Dinge, ich erlebe und erkämpfe mir viele neue Bereiche. Ich möchte da raus und etwas tun und sehen und erleben und genießen.
Ich freue mich darauf, wieder ich zu sein.